Der Zirkus, eine Reise

Die kanadische Zirkustruppe „7 Fingers“ spielt in Graz mit der Dynamik des Unterwegsseins.

Das Leben als Reise ist keine taufrische Metapher, aber als tragendes Gerüst für einen Abend zwischen Artistik und Tanz in einem theaterhaften Setting allemal tauglich. Die „7 Fingers“ aus Montreal haben sich eine Zugreise als Handlungsrahmen für ihr Programm „Passagers“ (Passagiere) gewählt, mit dem sie beim „Cirque Noël“-Festival in Graz gastieren.

Es ist ein gut getakteter Vorortzug, der 90 Minuten lang die Stationen des Genres „Neuer Zirkus“ abfährt. Das bedeutet: keine tollpatschigen Clowns, kein „Akrobat schön“, keine glitzernden Bodysuits und schon gar keine Tiere, die in keiner Manege im Kreis laufen. Stattdessen bringen drei Frauen und fünf Männer Meisterklassen-Akrobatik auf eine karge Bühne, die mit Lichtprojektionen und sparsamen Requisiten maximale Wirkung erzielt. Die stimmige Revue glänzt durch fließende Übergänge und eine Choreografie, die von sehr schnellen bis sehr langsamen Passagen alle Schattierungen der Dynamik nutzt und im Zusammenspiel der Akrobaten das Verhältnis des Einzelnen zur Gruppe anspricht. Am deutlichsten zeigt sich das in der Mitte der Show zuerst bei einer Jongliernummer mit Slapstickelementen und anschließend beim Auftritt der hyperflexiblen Artistin, die als Außenseiterin im Zug des Lebens sitzt: Kaum klatscht sie in die Hände, erstarren die anderen Passagiere, und die Schlangenfrau nutzt den Stillstand, um sich zu einer Coverversion von Radioheads „Creep“ durch die Abteile zu winden und Verwirrung unter den Mitreisenden zu stiften.

Die 7 Finger in Aktion, (c) Alexandre Galliez

Jederzeit beeindruckend ist die mühelos anmutende Showakrobatik der „7 Fingers“ am Boden, in der Vertikalen (Tuch bzw. Stange) und am Trapez, die jeweils nur mit den nötigsten Utensilien ausgeführt wird. Elegische Tom-Waits-Balladen und Reflexionen über die subjektive Zeiterfahrung beim Unterwegssein stehen auch am Programm, aber zum Glück überfrachten die Artisten die Zugreise des Lebens nicht mit Bedeutung. „Passagers“ ist noch bis 2. Jänner in der Grazer Stadthalle zu sehen. Außerdem gastieren bis 5. Jänner im Grazer Orpheum die Schweizer Compagnia Baccalà und der slowakische Cirkus Younak beim Cirque Noël.

Diese Veranstaltungskritik wurde im Dezember 2019 im Auftrag der Tageszeitung „Der Standard“ verfasst.

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