Ein wahrer Garten

Was man von Gerald Brettschuh und Christiane Muster-Brettschuh über Baukultur und Landschaft lernen kann; wie sich die Südsteiermark in den letzten 25 Jahren veränderte; und warum die keltisch-römische Fruchtbarkeitsgöttin Isis-Noreia nach wie vor ihre schützenden Arme über die Naturpark-Region ausbreitet.

Im Tal: mit den Brettschuhs im Hier und Jetzt

In den großformatigen Landschaftsbildern von Gerald Brettschuh aus dem Jahr 2015 explodiert das Land vor Sinnlichkeit: Die Hügel biegen sich im Frühlingsbild einem fiebernden Himmel entgegen; im Herbstbild bersten Rebstöcke, Weinblätter und Trauben förmlich vor Saft und Kraft; noch einmal zugespitzt ist diese Intensität im Tableau des Hochsommers, wo das Land von einer liegenden nackten Frau verkörpert wird, prall von Formen, Farben und Figuren.

Gerald Brettschuhs großformatiger „Hoher Sommer“ in der Galerie-Baustelle in Arnfels. Foto: Lupi Spuma

Seit über 40 Jahren zieht sich die Landschaft rund um Montikogel (633 m) und Remschniggalm (750 m) als wiederkehrendes Motiv durch das Oeuvre von Gerald Brettschuh. Der aus Arnfels stammende Künstler hat sich nach dem Studium an der Wiener Angewandten und nach Jobs und Aufenthalten in Polen, Schweden und England 1976 wieder in seinem Heimatort niedergelassen, am westlichen Ausläufer der Windischen Bühel, dem Hügelland zwischen Mur und Drau. Arnfels liegt auf 317 m Seehöhe am Talboden der Pößnitz und war im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine prosperierende Marktgemeinde mit regem Kulturleben. Es gab sogar ein Theater. Inzwischen wirkt der Ort wochentags wie ausgestorben, im Zentrum stehen Häuser leer. Seit die meisten Leute in Einkaufszentren shoppen, gibt es kaum noch Geschäfte. Nur im regen Kulturleben spiegelt sich noch der alte Glanz: Die seit Jahrzehnten aktive Theatergruppe rund um die Arnfelser Schloßspiele, der professionelle geführte Chor Arkadia Arnfels und der rührige Kulturverein Forum Arnfels beleben den Ort mit ihren Veranstaltungen.

„Das ist mein Reservat“, sagt der Maler. Er und seine Frau, die Malerin und Architektin Christiane Muster-Brettschuh, richteten sich in jahrelanger Arbeit einen alten Hof neben der Arnfelser Kirche als Atelier, Wohn- und Arbeitsrefugium her. Der Hof-Charakter des Gebäudes mit umlaufendem Balkon blieb erhalten, der gelungene Umbau wurde 1989 mit der Geramb-Rose für qualitätsvolles Bauen ausgezeichnet. „Das Haus war eigentlich eine Ruine“, erzählt Christiane Muster. „Früher gab es einige Mieter und auf den Laubengängen liegende Plumpsklos. Die jetzige Küche war früher ein Pferdestall, die Salze haben Putz und Mauerwerk angegriffen, seine Sanierung hat sich über Jahrzehnte gezogen. Wir haben das Haus schrittweise renoviert und verändert. Ein Teil der Decke wurde herausgenommen, um einen hohen Raum zu gewinnen, der eine Galerie hat.“

In diesem Raum sitzen wir jetzt, um mit Gerald Brettschuh über die Landschaft zu sprechen. Der Maler kredenzt kroatischen Grappa und weist alle verkopften Fragen mit ausladender Geste von sich. Zum Beispiel: „Ist mit der Idylle, die die Menschen in der Südsteiermark suchen, nicht auch immer die Hoffnung auf eine Utopie verbunden?“ – Brettschuh: „Utopie? Ich kann mit dem Begriff der Utopie nichts anfangen. Eine Utopie verweist in die Zukunft, aber ich bin Existenzialist: Mir geht es um das Hier und Jetzt! Ich male die Landschaft, weil ich die Landschaft bin.“

„Weil ich die Landschaft bin!“ – Gerald Brettschuh in seiner Küche. Foto: Lupi Spuma

Von Arnfels aus haben die Brettschuhs den Landstrich unzählige Male zu Fuß durchstreift, bis weit nach Slowenien hinein. Während Christiane Muster vorwiegend Porträtistin ist, spielen im bildnerischen Werk von Gerald Brettschuh Natur und Landschaft eine wichtige Rolle. Seine Eindrücke hat er in Hunderten Grafiken und Bildern festgehalten. Um seinem immensen Werk, das auch Skulpturen umfasst, einen Raum geben zu können, haben die Brettschuhs zusätzlich zwei Häuser im Ortszentrum von Arnfels erworben. Neben den Häusern ist eine Art Park und dahinter ein Opokfelsen aus Arnfelser Konglomerat. „Wir brauchen Platz, um die Bilder zu lagern“, erklärt Christiane Muster. „Der Geist des Ortes und die Nutzung der Häuser wird behutsam aus Vorhandenem herausgeschält; Ausstellungsräume und ein Gästehaus entstehen als work in progress. Allerdings wird einiges von den Häusern selbst bestimmt, von ihrer Baugeschichte, ihrem Zustand, den sich offenbarenden Lichtverhältnissen … Das und die daraus resultierenden Möglichkeiten erschließen sich nach und nach.“ Ein Ideenwettbewerb für Studierende der TU Graz im Wintersemester 2014/15 lieferte zusätzliche Anhaltspunkte für die künftige Gestaltung.

Die Architektin und Künstlerin Christiane Muster-Brettschuh leitet den Umbau der alten Markthäuser. Foto: Lupi Spuma

Gerald Brettschuhs Landschaftsbesessenheit ist in mehreren Büchern festgehalten, darunter dem Bildband  „Mein Land“ aus dem Jahr 2005 und dem Katalog zur Ausstellung „Landschaft“, mit der Brettschuhs 75. Geburtstag im Frühjahr 2015 in Graz gefeiert wurde. Der Grazer Kunstkritiker Walter Titz schreibt in diesem Katalog: „Brettschuhs Panoramen sind großartige Erfindungen eines begnadeten Fabulierers. Bilder, auf welchen die Motive tatsächlicher Geografie mit solchen von opulenten Innenwelten überblendet werden, verschmelzen.“

Was einem diese Zeilen verdeutlichen, und was auch beim Besuch bei Brettschuh klar wird: „Die“ Landschaft gibt es nicht. Auch nicht in der Südsteiermark. Je nach Blickwinkel und Zugang haben wir verschiedene Interpretationen der Landschaft vor uns. Und die sieht für einen Maler anders aus als für eine Geologin, einen Architekten, eine Weinbäuerin oder einen Touristen.

Vom Hügel aus: die Landschaft im Wandel

Um die Landschaft der Südsteiermark zu überblicken, erklimmt man am besten eine der zahlreichen Warten, mit denen die Südsteiermark aufwarten kann: Silberbergwarte, Kreuzkogelwarte, Demmerkogelwarte, Kreuzbergwarte, Montikogelwarte und Platscher Warte am Placki vrh, letztere schon auf der slowenischen Seite des Platscher Berges bei Spielfeld. Von diesen Erhebungen aus hat man einen perfekten Überblick über das südsteirische Weinland von der Mur-Ebene bis zum weststeirischen Hügelland. Dominiert wird der Landstrich von den Windischen Büheln, dem Hügelland zwischen Mur und Drau, aber auch der Hügelzug des Sausal gehört dazu. Das Urmeer Paratethys hat hier Muschelkalk abgelagert und Sedimentböden hinterlassen; im Sausal sind Schiefer eingelagert, und in den Ebenen haben die Flüsse schottrige Böden angeschwemmt. Allesamt beste Voraussetzungen für eine abwechslungsreiche Landschaft und vielschichtige Landwirtschaft.

Charakteristisch für die Windischen Bühel und das Sausal sind die sehr steilen Hänge. Hangneigungen von 50, 60 Grad würden in Schigebieten schon tiefschwarze Pisten ergeben. In der Südsteiermark hingegen saugen an derartigen Südhängen die Weinreben die meiste Sonne ein. Im Gegensatz zu diesen „Gunstlagen“, wo der Wein bestens gedeiht, macht sich an den Nordhängen der Wald breit. Und zwar immer mehr, seit Ackerbau und Viehwirtschaft eine immer kleinere und Weinbau und Tourismus eine immer größere Rolle in der Region spielen.

Die Landschaft verändert sich laufend: Traditionell sind die Weinzeilen an den Kuppen bzw. oberen Bereichen der Hügel angesiedelt; in den mittleren Höhen dominierten die Streuobstwiesen – aber auch sie werden weniger, seit die Obstpreise in den Keller gefallen sind. Dafür werden die Weinreben nun weiter den Hang hinuntergezogen. Die Klimaerwärmung macht’s möglich. In den feuchteren und kälteren Talböden herrscht traditionell der Ackerbau. Das landwirtschaftliche Siedlungsmuster nennt sich „illyrischer Mischtyp“: um einen Streuhof, der meist auf halber Höhe eines Hügels angesiedelt ist, gruppieren sich die landwirtschaftlichen Flächen in kleinteiliger Gemengelage.

Das typische Landschaftsbild im südsteirischen Weinland. Foto: Werner Schandor

Baulich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel getan: Befördert durch den Strukturwandel der letzten 25 Jahre wurden aus oftmals bescheidenen Wein- und Mostschenken schicke Vinotheken mit hochmodernen Weinkellern; und kleine Kellerstöckl, armselige Keuschen und Winzerhäuser verwandelten sich in komfortable Ferienhäuser. Neue Straßen, Einfamilienhaus- und Gewerbegebiete trieben die Zersiedelung und Versiegelung des Landes voran. Es wurden aber auch zahlreiche leer stehende Ensembles revitalisiert und Privathäuser, Betriebe und Kultureinrichtungen mit viel Gespür für die Landschaft vorbildhaft umgebaut. Für diesen Umdenkprozess wurde die Südsteiermark 2016 als erste Region mit dem Baukulturpreis des Vereins „Landluft“, gestiftet vom Österreichischen Gemeindebund, ausgezeichnet.

Unterwegs: die Landschaft als touristischer Segen

Für die Touristiker ist diese Landschaft, die man sich angemessenerweise langsam erwandert oder erradelt, ein Segen. Bereits Johann Gottfried Seume – ein preußischer Soldat, Philosoph und Schriftsteller, der 1802 von Potsdam nach Syrakus/Sizilien wanderte und seine Erlebnisse in einem Buch festhielt – schrieb: „Der Weg von Ehrenhausen nach Marburg ist ein wahrer Garten, links und rechts mit Obstpflanzungen und Weinbergen.“

Seumes Buch „Spaziergang nach Syrakus“ gilt als Grundstein der deutschsprachigen Reiseliteratur. Die aktuelle Tourismuswerbung legt auf Seumes Lob der südsteirischen Landschaft noch ein Schauferl drauf und macht aus seinem „wahren Garten“ einen Garten Eden: Sie spricht von einem „Himmelreich aus Hügeln“. Und wahrlich, angesichts der immer neuen Blickpunkte, die sich beim Durchqueren der Südsteiermark ergeben, angesichts der Farbschattierungen, mit denen sich die Hügel in die Tiefe der Landschaft staffeln, darf man ruhig die höchsten Töne anschlagen, wenn man diese Landschaft beschreibt. Selten scheint die perfekte Idylle greifbarer als hier. Vermutlich hat der Maler Gerald Brettschuh recht, wenn er jede analytische Annäherung an dieses Land zurückweist. Seine Landschaftswahrnehmung ist gesättigt von Farben, Nuancen und Schattierungen – einem Rausch an sinnlichen Eindrücken, die man sich selbst nicht vorenthalten sollte.

Isis-Noreia breitet die schützenden Arme über das Weinland aus. Foto: Werner Schandor

2001 wurde das südsteirische Weinland zum Landschaftsschutzgebiet erklärt, seit 2002 gibt es den Naturpark Südsteiermark. Damit verbunden ist der Auftrag, die einzigartige Kulturlandschaft mit ihrer ökologischen Vielfalt und ihrem baukulturellen Gepräge zu erhalten und schonend und nachhaltig zu entwickeln. Gerald Brettschuh als einer der bedeutendsten Künstler der Region gestaltete das Signet des Naturparks: Eine Frauenfigur, die allumfassend die Arme ausbreitet, eingezeichnet in ein großes, sonnengelbes Weinblatt; um die Frau herum Sonne, Mond und Sterne – gemeinsam mit dem Weinstock und den charakteristischen Pappeln, die den südsteirischen Himmel kitzeln und bei vielen Besuchern Assoziationen zu den Zypressen der Toskana wecken. Die Frau auf Brettschuhs Naturpark-Logo ist übrigens die uralte Nährmutter des Landes: die Göttin Isis (keltisch Noreia), die zur Zeit der Römer und Kelten in der Region als Fruchtbarkeitsgöttin verehrt wurde und die hier seit Jahrtausenden gute Arbeit leistet. Denn es ist ein fruchtbares Land in vielerlei Hinsicht.

Text aus der Broschüre „Baukultur Südsteiermark“, die auf der Homepage des Vereins Landluft als PDF zum Download bereitsteht.

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