Sehen, was man leicht übersieht

Die Gemälde des Malers Wolfgang Wiedner bilden Landschaften und Gegenstände des Alltags ab und laden gleichzeitig ein, hinter die Dinge zu blicken.

Durch die raumhohen, nach Norden ausgerichteten Fenster von Wolfgang Wiedners Atelier in Feldbach fällt gleichmäßiges Licht. An den Wänden und auf Staffeleien hängen Gemälde in verschiedenen Größen, einige davon noch in Arbeit: Landschaften, Tiere, Zeitungsmotive und, prominent auf einer großen Staffelei, auch eines seiner charakteristischen Schalen-Bilder. Es riecht nach Farbe und Terpentin in diesem ehemaligen Fotostudio, nicht weit vom Feldbacher Hauptplatz entfernt. Wolfgang Wiedner bietet dem Gast einen alten Thonet-Stuhl zum Sitzen an, ein Exemplar aus dem Wirtshaus seiner Eltern in der Nähe von Riegersburg, das seine Pforten längst geschlossen hat.

Das Atelier als Motiv

Das Atelier war lange Zeit das bevorzugte Motiv für Wolfgang Wiedner: Zahlreiche seiner Stillleben zeigen Farbtöpfe, Möbel, Teppiche, Pflanzen und andere Gegenstände, die er tagtäglich vor Augen hat, wenn er an seinen Bildern arbeitet. In den späten 1970ern, als er mit der Malerei begann – „eigentlich habe ich erst nach dem Studium an der Akademie wirklich zu malen begonnen“ –, war die Hinwendung zur gegenständlichen Ölmalerei ein Novum. Aktionismus und Konzeptkunst als vorherrschende Kunstströmungen der 70er-Jahre waren in ihrer Ausrichtung stark politisch gefärbt. Die Rückbesinnung auf die Malerei wirkte da wie ein Bruch, ein Aufbruch zu neuen Ufern. Rasch wurde die Bezeichnung „Neue Malerei“ geprägt, und Wiedner war gemeinsam mit seinen Künstlerkollegen wie Erwin Brotatsch, Joseph Kern und Hubert Schmalix einer der Hauptvertreter dieser Richtung.

Erste Ausstellungen, kuratiert vom einflussreichen, langjährigen Leiter der Neuen Galerie Graz, Wilfried Skreiner, bedienten in den frühen 1980er-Jahren den „Hunger nach Bildern“, wie ein Schlagwort von damals lautete. Die Stunde war gekommen für sinnliche Ölmalerei von oft strahlender Farbigkeit, die an den jahrzehntelang vergessenen deutschen Expressionismus andockte. Für Wiedner waren das sehr gute Zeiten. Er hatte bald Kontakt zu Galerien in Mannheim und Triest, die seine Werke in Deutschland und Italien vertrieben, dazu regelmäßige Ausstellungen in Graz und Wien.

Wolfgang Wiedner, Jahrgang 1953, erzählt mit ruhiger Stimme von den frühen Jahren. Die Zeit an der Akademie in Wien waren prägend für ihn. Und gleichzeitig lag ihm nichts ferner, als sich am Konkurrenzkampf zu beteiligen, der in der Wiener Kunstszene herrschte. „Durch meine Ausstellungen in Deutschland und Italien konnte ich die Wiener Szene ganz gut umgehen“, sagt Wiedner, dessen Charakter von Journalisten gerne als „unaufdringlich“ beschrieben wird. Der Maler zog bald nach dem Studium an der Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz in Wien zurück aufs Land. Es war auch die Zeit der Aussteiger und Kommunen. Der Künstler quartierte sich zeitweise im Atelier seines Freundes Erwin Bohatsch in der Nähe von Fehring ein, ehe er mit seiner Frau Ulrike einen Bauernhof bei Kapfenstein fand, der lange Jahre das Zuhause der Familie war. Jetzt leben Ulrike und Wolfgang Wiedner in Feldbach, der Maler genießt es, die Stadt und die Umgebung mit dem Fahrrad erreichen bzw. erkunden zu können. „Es ist eine Befreiung für mich, aufs Land zu fahren und keinen Verkehrslärm zu hören und keinem Menschen zu begegnen. Das ist ein Kontrapunkt für mich zur städtischen Verbautheit und Borniertheit.“

Einstiegsdroge in die Moderne

„Seine Bilder sind die Einstiegsdroge in die moderne Malerei“, meint der Fürstenfelder Galerist Anton Gölles, der Wiedners Gemälde in Österreich unter die Käufer und Sammler bringt. Das Spannungselement  vieler dieser Werke liegt im Kontrast zwischen Gegenständen, die in expressionistischem Duktus gemalt und manchmal seriell angeordnet sind, und meist ruhigen, aber intensiven und schillernden Farbhintergründen, die in mehreren Schichten aufgetragen werden: Da gibt es zum Beispiel acht Äpfel auf türkisem Hintergrund, drei Mal drei Frösche vor himmelblauem Hintergrund, und immer wieder: Farbschalen auf flächig lasierten Farbschichten. Manchmal sind gegenüberliegende Schalen mit breiten Farbstrichen miteinander verbunden. Die Bilder heißen dann „9 Schalen“ oder „8 Äpfel“, oder sie sind überhaupt titellos. Man denkt dabei an Erich Frieds Vers: „Es ist, was es ist.“ Und was es ist, bleibt dem Betrachter überlassen. Wiedner sagt: „Ich vermeide es, als Oberlehrer den Betrachter zu einer Interpretation anzuhalten.“

Bewusster schauen lernen

Wolfgang Wiedner malt Dinge und blickt zugleich hinter ihre Oberfläche. Im Gespräch in seinem Atelier meint er, dass es ihm auch um die Wahrnehmung dessen gehe, „was man leicht übersieht, was aber existent ist.“ Seine Bilder seien für ihn eine Möglichkeit, „bewusster schauen zu lernen. Schauen reduziert sich für viele Menschen immer mehr auf das, was an elektronischen Bildern geliefert wird.“ Zwar könne er als Maler nicht „dagegen anstinken“, dass die über unsere Smartphones gefilterte Erfahrung mehr und mehr die eigene Wahrnehmung ersetze, aber er kann der Quantität der elektronischen Bilder nach wie vor die Qualität der Ölmalerei entgegenhalten.

„Das Gesehene, Erfahrene, holt er verwandelt zurück, entwickelt mit genauem Blick seine eigene Vision“, schreibt der Kunstkritiker Walter Titz im Zuge der Ausstellung „Land:striche“, die 2012 im Grazer Steiermarkhof zu sehen war, über die Arbeiten Wiedners. Zu den Atelierszenen gesellten sich in Wiedners Oeuvre in den vergangenen Jahren auch Tiere, Pflanzen, Reproduktionen von Zeitungsbildern und vor allem und immer wieder: oststeirische Landschaften, über die sich manchmal, aber nicht immer, ebenfalls duplizierte Objekte legen. Wiedners Motive würden, so Walter Titz, „vom Künstler unmittelbar erlebt, beobachtet, analysiert. Durchleuchtet bis auf den Kern. Freigelegt. Transzendiert.“

Stimmt das mit dem Transzendieren?, will ich von Wolfgang Wiedner wissen. Ist das ein beabsichtigter Effekt? Er überlegt, wägt ab, bevor er antwortet: „Das Transzendente kommt meistens dann, wenn ich mich mit einem neu begonnenen Bild herumschlage. Ich bin bis zum Schluss nicht zufrieden damit, gebe aber nicht auf. Und dann gibt es einen Moment, wo ich sagen kann: ‚Jetzt stimmt’s.‘ Es kommt dabei immer ganz etwas anderes raus als ich zu Beginn als Idee im Kopf hatte. Aber in solchen Momenten habe ich das Gefühl, es scheint etwas durch das Bild hindurch, was eigentlich nicht in meiner Malerei drinnen war. Sondern ich werde belohnt von der Kunst, dass ich durchgehalten und nicht resigniert habe. Und wenn das andere Menschen auch wahrnehmen, dann kann man vom Transzendierenden sprechen – was hinter der Oberfläche verborgen liegt.“ Nachsatz: „Ich bin aber partout nicht religiös. Mir geht es rein um das Hier und Jetzt … Es gibt ein Leben vor dem Tod.“

Damit die transzendente Qualität seiner Bilder nicht ins Erhabene abdriftet, lockert Widmer seine Ausstellungen gerne mit kleinformatigen Bilder auf, die banale Motive zeigen: Berühmt sind seine Ferkel und Schweine. „Ich habe es gerne, wenn die Leute ein bisschen schmunzeln oder lächeln, wenn sie aus meiner Ausstellung rausgehen“, sagt der Maler.

Werner Schandor

Das Porträt ist in der Online-Reihe ARTfaces der Kulturabteilung des Landes Steiermark erschienen

 

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