Der literarische Abweichler

Mario Huber schreibt Dialektgedichte im tiefsten Ouststairisch. Aber ihn als Dialektdichter zu schubladisieren, greift viel zu kurz. Für seine kulturwissenschaftliche Dissertation an der Uni Graz hat er eine Schriftenreihe zum abweichenden Verhalten untersucht, als Autor beherrscht er auch das progressive Erzählen.

Maua

Uane muas staibleijm
die oundan kinan weijg
und sunst kaust ois neijg mochn

Uane muas staibleijm
fias Grundbuach muas seij
das die Hausnumma bleib

Uane muas staibleijm
das ois bleijb wias is

(Mauer: Eine muss stehenbleiben / die anderen können weg / und sonst kannst du alles neu machen // Eine muss stehenbleiben / für das Grundbuch muss es sein / damit die Hausnummer bleibt // Eine muss stehenbleiben / damit alles bleibt, wie es ist)

Das Dialektische, Gegensätzliche, und der Dialekt – in Mario Hubers Mundartgedichten fallen sie oft in eins. Wie in dem Gedicht über die Hausrenovierung, wo alles wegkommen kann bis auf eine Mauer, „damit alles bleibt, wie es ist“. Die Provinz in Hubers Mundartgedichten ist frei von Sentiment, aber voll von ambivalenten Gefühlen. Sie reichen von geerdeter Bauernschläue bis hin zum Eindruck, nichts zu verschenken zu haben. So wie man im Gasthaus nach einer Alufolie verlangt, um die Reste vom Backhendl mitzunehmen. „… und wemmas da Kotz geijm: / zould is jo“.

In Hubers Texten befindet sich das Land im Umbruch, und es wird dort viel (aus-)gebaut und renoviert, was dem ländlichen Strukturwandel im sozialen und geographischen Umfeld des 1987 geborenen Autors entspricht. Dieser hat seinen Wohnsitz nach wie vor in Sacherberg bei Radersdorf, Gemeinde Großwilfersdorf, wo er aufgewachsen ist. Wer das nicht kennt, braucht sich nicht schämen, denn es handelt sich beim Sacherberg um einen der unzähligen zersiedelten Hügelrücken, die im Verbund mit den zersiedelten Gräben das Kernland der Oststeiermark bilden.

Kontraste, die auf ein Miteinander verweisen

Zwischen der Autobahnabfahrt Ilz und der „Thermenhauptstadt“ Fürstenfeld wird landläufig noch ein Idiom bewahrt, in dem sich die Dinge des Lebens unmittelbar ausdrücken lassen: Geburt, Aufwachsen, Hausbau, technischer Fortschritt, sozialer Umbruch und die Genüsse des Daseins.


Tradition und Region

in Fiaschtnföld gibs as
Nibelungengold
a Privatbrauerei
ghean zu die Verteidiger Europas
hot a Walküre und a Houmpfbia

Richtung Gleijschodaf, in Markt Hartmannsdorf gibs as
Hermax
a Privatbruareei
verteijdign nix, souweijt I woas
hot a Rosmarinbia und a Houmpfbia

(In Fürstenfeld gibt es das / Nibelungengold / eine Privatbrauerei / [die Betreiber] gehören zu den Verteidigern Europas / [die Brauerei] hat eine Walküre und ein Hanfbier // Richtung Gleisdorf, in Markt Hartmannsdorf, gibt es das / Hermax / eine Privatbrauerei / [die Betreiber] verteidigen nichts, soweit ich weiß / [die Brauerei] hat ein Rosmarinbier und ein / Hanfbier)

Für Huber ist der Dialekt – bzw. die Spielart des im Umkreis von Großwilfersdorf Gesprochenen – eine poetische Möglichkeit, zu einem unmittelbaren Hier und Jetzt durchzudringen. Der Dialekt bietet dem, der genau hinhört, mehr Möglichkeiten, die Dinge auf den Punkt zu bringen, als die Standardsprache. „Es geht darum, […] ‚Abweichungen‘ innerhalb der eindimensional gedachten Standardsprache als genau das wahrnehmbar zu machen, was sie sind: Kontraste, die auf ein bestimmtes Miteinander, eine bestimmte Praxis des Zusammenlebens und der Weltaneignung verweisen“, heißt es in der editorischen Notiz zu Hubers Gedichtveröffentlichung in der Wiener Publikationsreihe „Flugschrift. Literatur als Kunstform und Theorie“ im Frühjahr 2023.

Das Unmittelbare und kompromisslos Nüchterne verbindet Huber mit dem Ahnherrn der anspruchsvollen österreichischen Mundartdichtung der Nachkriegszeit, dem Wiener Poeten H. C. Artmann. “nua ka schmoiz ned“, gab Artmann den Mundartpoeten als Ratschlag auf den Weg. Gleichzeitig betrachtet der Steirer jede Vereinnahmung der Mundart aus kritischer Distanz – sei es Vereinnahmung durch plumpe Heimattümelei, sei es durch gehobenen Mundartkitsch, der sich an Artmanns Themen- und Formenkanon anbiedert, als lebten wir in ewigen 1950er-Jahren. Hubers Äquidistanz zu diesen Positionen hat er im Aufsatz „… und Dialekt hat nichts Poesie zu tun“ umrissen, erschienen 2021 in der Zeitschrift „perspektive“.

Spiel mit Doppeldeutigkeiten

Dass Mario Huber mit seinen Gedichten ausgerechnet bei der „perspektive“ andocken konnte, diesem österreichischen Zentralorgan progressiven Schreibens, mag auf den ersten Blick erstaunlich wirken. Zum Einen hat es damit zu tun, dass Ex-„perspektive“-Herausgeberin Silvia Stecher ebenfalls aus der Oststeiermark stammt und das poetische Potenzial von Hubers Gedichten entschlüsseln konnte. Zum Anderen ist der Autor – auch darin H. C. Artmann ähnlich – keinesfalls auf Dialektdichtung beschränkt. Ganz im Gegenteil: Wie seine Prosatexte in Standardsprache zeigen, beherrscht Huber auch das anspielungsreiche Abschweifen, das Spiel mit sprachlichen Doppeldeutigkeiten und das Ausreizen von Wortfeldern. Man lese „Die Eiswolken“ („perspektive“ 110/111, 2022) oder „Das Bartwachstum („Lichtungen“ 163, 2021). An manchen Stellen erinnern diese Texte, in denen sich die Themen und Vorgänge mehr andeuten als offenbaren, an seriell verarbeitete Wortfolgen – als würde eine Geschichte durch einen Algorithmus gejagt.

Vielleicht hat das mit Hubers Biographie zu tun: Vor seinem Studium der Germanistik und Philosophie war der HTL-Absolvent in der IT-Branche tätig. Eher noch aber hat diese Art des Schreibens mit seiner Lust am Abschweifen und Abweichen zu tun. Mario Huber ist mit seiner fundierten literaturwissenschaftlichen Ausbildung ein Poeta doctus, ein gelehrter Dichter, und gleichzeitig ein Autor, der sich auf keine Gattung, keine literarische Machart festlegen möchte. Das Spielerische interessiert ihn mehr als das Regelhafte, das Opake mehr als das auf den ersten Blick Offensichtliche. Die verbindende Klammer zwischen „Experiment“ (um einen im literarischen Diskurs nicht mehr verwendeten Ausdruck zu bemühen, der aber hier ganz gut zu passt, weil sich das Wort auch im Dialekt aussprechen lässt: „Eks-Perimeint“) und Mundart liegt im Klanglichen der Sprache, die es Huber in jedem Fall angetan hat. Daher stellt er auf Youtube und auf seiner Website auch viele seiner Texte zum An- und Nachhören zur Verfügung. Besonders bei den Dialektgedichten bringt das Anhören einen Mehrwert.

Zwei Gedichtbände im Dialekt hat Mario Huber fertig in der Schublade, die heißen „Hiaz“ und „Hiaz a“ („Jetzt“ und „Jetzt auch“). Ein dritter ist in Arbeit, Titel: „Oungst neijm da Oungst“ („Angst neben der Angst“). Es wäre schön, wenn sich ein Verlag fände, diese Glanzstücke des Oststeirischen zu veröffentlichen.

Website: https://www.mario-huber.at

Der Text wurde verfasst für die Künstler-Porträtreihe ARTfaces am Kulturportal des Landes Steiermark

https://www.kultur.steiermark.at/
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