Wie Feindbilder gemacht werden

Herr Trampusch, warum ist es wichtig, die Geschichte aufzuarbeiten? – „Menschen verdrängen gerne unangenehme Dinge aus der Vergangenheit. Aber die Dinge sind trotzdem passiert, und die Gefahr besteht, dass sie wieder passieren, wenn man nichts aus der Vergangenheit lernt.

Leider lassen sich Menschen durch Angst besser motivieren als durch Versprechungen. In der Politik ist es üblich, Angst zu erzeugen, weil man dadurch die Menschen oft besser erreichen kann als durch Versprechungen. Die Angst muss man nie beweisen, man muss nur schauen, dass sie am Köcheln bleibt. Man darf nicht zulassen, dass die Angst verschwindet. Daher muss man Feindbilder erzeugen. Wenn man den Menschen einredet, dass sie von etwas bedroht werden, dann sind sie bereit, mitzumarschieren.

Es geht darum, dass man diesen Anfängen wehrt, indem man aus der Geschichte lernt. Sonst sieht man nicht, in welche Sackgasse man gerät, wenn man einfach mit Angst operiert, die in jedem Menschen steckt. Man muss ihm nur etwas Unbekanntes als Gefahr einreden. In der Zeit meiner Kindheit waren das ‚die Juden‘ oder ‚die Untermenschen aus dem Osten‘. Und die Menschen sind darauf hineingefallen und haben diese Massenpsychose mitgemacht – aus der persönlichen Angst heraus, sie könnten von diesen Leuten überrannt werden.

Heute sind die Feindbilder andere, aber das Prinzip funktioniert nach wie vor. Aus der Unsicherheit dem Unbekannten gegenüber entsteht Angst, und aus Angst entsteht Aggression, wenn man den Leuten einredet, sie müssten etwas gegen die vermeintliche Bedrohung unternehmen, weil sonst sie selbst „dran“ wären. Und da kann man aus der Geschichte ableiten, dass man nicht falschen Ängsten aufsitzen soll.

Ich sehe den Sinn der Vergangenheitsbewältigung darin, dass man Angst abbaut – Angst vor dem Unbekannten. Ich merke bei meinen Führungen durch die Römerhöhle, dass es bei jungen Leuten besser ist. Junge Leute haben nicht so Angst vor dem Unbekannten, weil sie dauernd mit Dingen konfrontiert werden, die sie nicht kennen.“

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Franz Trampusch, Jahrgang 1934, war Bürgermeister von Wagna, Abgeordneter zum steiermärkischen Landtag und Vorsitzender des sozialdemokratischen Landtagsklubs der Steiermark. Er wuchs auf einem Bauernhof in unmittelbarer Nähe der „Römerhöhle“ auf. In diesem Bergwerk in Aflenz, einem Ortsteil von Wagna, wird seit über 2000 Jahren Sandstein abgebaut, der für Bildhauerarbeiten genutzt wird. In den Jahren 1943 bis 45 richteten die Nationalsozialisten die Stollen als unterirdische Maschinenfabrik ein. 920 Zwangsarbeiter, die aus dem KZ Mauthausen hierher verfrachtet wurden, mussten im Berg schuften. Franz Trampusch hatte als Kind miterleben müssen, wie entkräftete Menschen von Mithäftlingen, die als Kapos fungierten, erschlagen oder von SS-Wachen erschossen wurden. Nach dem Krieg von den Kapos eingeschüchtert, hat es lange Jahre gebraucht, bis Trampusch und andere Zeugen des Nazi-Terrors in Wagna ihr Schweigen brachen und darangingen, die Geschichte aufzuarbeiten. Auf ihre Initiative hin wurde das einzig erhaltene Gebäude des Lagers – die Ruine des ehemaligen Wächterhauses, bei dem man den Passierschein zeigen musste, wenn man ins Gelände wollte – 2009 zu einer Gedenkstätte umgewandelt.

Das Interview mit Franz Trampusch habe ich im September 2016 im Zuge von Recherchen für ein Südsteiermark-Magazin geführt.

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