Betrachtungen zum Sprachgeschehen

Zu den Sprachgewinnlern der Coronakrise gehört neben einer Unzahl englischer Ausdrücke – von Lockdown über Homeschooling bis Social Distancing – auch ein deutscher Begriff, der lange Zeit ein Schattendasein führte: das Geschehen.

Ausgehend vom Infektionsgeschehen des Coronavirus ist ein Suffix viral gegangen: Im Fernsehen wird im Anschluss an die Berichte vom Tagesgeschehen immer öfter auf das Wettergeschehen des nächsten Tages geblickt. Dieses führt bei winterlichen Bedingungen auf den Straßen zu einem Unfallgeschehen, welches wiederum das Behandlungsgeschehen in den Krankenhäusern zusätzlich zum Seuchengeschehen in Mitleidenschaft zieht.

Wie geschieht mir?

Das „-geschehen“ ist aktuell hochansteckend, und es schickt sich an, den guten alten „-bereich“ als bevorzugtes Bläh-Anhängsel abzulösen. Kein Wunder, suggeriert doch das Geschehen Dynamik in Zeiten des Abbremsens. Längst ist, wenn wir über die Schule diskutieren, nicht vom Schulbereich, sondern vom Schulgeschehen[1] die Rede. Kulturschaffende sorgen sich um das Veranstaltungsgeschehen, und auch im Handel wird das Einkaufsgeschehen[2] genau unter die Lupe genommen.

Zeichen und Wunder geschehen

Ein Blick in das Herkunftswörterbuch gibt Auskunft, seit wann das verbindungsfreudige Wort in unserem Sprachgeschehen mitmischt. Der Etymologie-Duden (Band 7, Das Herkunftswörterbuch) berichtet von einer bereits im Althochdeutschen belegten Form „giskehan“, das unter anderem verwandt sei mit dem russischen Wort „skočit“ (springen). Das Geschehen bezeichnet also etwas, das schnell vor sich geht: ein sprunghaftes Ereignis oder eine Kette sprunghafter Ereignisse. Auch das Wort Geschichte leitet sich vom Geschehen ab.

Ja, ganz sicher: Das Coronageschehen wird in die Geschichte eingehen. Und vermutlich auch das Impfgeschehen, das uns hoffentlich bald vom Gewese ums Geschehen befreit.


[1] „Ampel bestimmt auch das Schulgeschehen“ – Vorarlberger Nachrichten vom 8.9.2020
[2] „NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte am Sonntagmorgen im Deutschlandfunk mit Blick auf den Andrang am Freitag, man müsse sich auf das „Einkaufsgeschehen“ im Advent eben einstellen.“ Quelle: RTL.de

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