Eine neue Thermohülle für alte Häuser

Im „Smart City“-Projekt STELA setzte die TU Graz neue Akzente: Statt High-Tech zur thermischen Sanierung mehrgeschoßiger Bestandsbauten rückte man die soziale Verträglichkeit in den Mittelpunkt der Studien. Mit einer neuen, thermischen Hülle können große Energieeinsparungen erreicht und gleichzeitig in die Jahre gekommene Wohnsiedlungen relativ kostengünstig aufgewertet werden. Low-Tech ist das neue Smart.

Frau Anna hat jetzt mehr Platz. Die Rollstuhlfahrerin wohnt im Erdgeschoß eines elfstöckigen Hauses in Leoben. Im Rahmen des „Smart City“-Projekts STELA unter der Ägide des Fields of Expertise „Sustainable Systems“ der TU Graz wurde an Frau Annas Wohnung im März 2017 der Prototyp einer thermischen Pufferzone montiert: eine wohnliche Stahl-Holz-Hülle mit Glas- und Photovoltaik-Elementen. Im Sommer dient der neue, 30 m² große Raum als Terrasse, im Winter als Wintergarten. Durch die Ummantelung sinkt der Wärmeenergiebedarf der Wohnung um drei Viertel, in der Folge nehmen die CO2-Emissionen um fast 60 % ab. Und das Beste: Die Konstruktion, mit der sich alte, mehrgeschoßige Bauten aufwerten lassen, ist gleich effizient und kommt nur wenig teurer als die konventionelle Wärmedämmung mit Verbundplatten, die keinen Wohnraumgewinn bringt.

Soziale Verträglichkeit als Innovationsziel

STELA steht für „Smart Tower Enhancement Leoben Austria“. Das Projekt startete 2013 in einer zentrumsnahen Siedlung in Leoben und hatte das Ziel, eine innovative Lösung für die thermische Sanierung der Häuser zu finden, dadurch den Stadtteil aufzuwerten und neue Mieter anzulocken. Von hier aus ist man in nur fünf Minuten am Leobener Hauptplatz, ohne in ein Auto steigen zu müssen – Stichwort „sanfte Mobilität“. In der Siedlung stehen zehn Häuser mit je fünf bis elf Stockwerken, darin befinden sich über 300 Wohnungen mit einheitlichem 75 m²-Grundriss, ausgelegt auf die Zwei-Kind-Famile der 1970er-Jahre. Das Projektteam der TU Graz sollte auch Wege finden, auf den mittlerweile geänderten Wohnraumbedarf reagieren zu können.  Das war recht einfach:  Für die flexible Anpassung der Wohnungsgrößen wurden verschiedene Grundrissvarianten entwickelt, die sich mit relativ wenig Aufwand umsetzen lassen. Einen längeren Weg musste das Projektteam zurücklegen, um eine passende Antwort auf die Frage nach der angemessenen thermischen Sanierung zu finden.

Die neue, luftige Loggia von Frau Anna ist hell und geht ins Grüne. Foto: Alexander Gebetsroither

„Unsere erste Idee war es, für die Häuser eine neue Hülle zu schaffen, die von den Einsparungswerten her das gleiche Ergebnis erzielt wie die konventionelle Sanierung mit Wärmedämmverbundplatten“, erzählt Projektleiter Univ.-Prof. Hans Gangoly, Vorstand des Instituts für Gebäudelehre. „Ursprünglich wollten wir für diesen Ansatz aktuelle Materialentwicklungen kombinieren, wie z. B. High-Performance-Beton, aber auch digitale Steuerungsmöglichkeiten. Die technischen Lösungen wären allerdings für die Bewohner der Siedlung nicht finanzierbar gewesen“, sagt Gangoly. In der Kommunikation mit den Mieterinnen und Mietern wurde schnell klar, dass die Leistbarkeit einer solchen Konzeption oberste Priorität für die Akzeptanz haben würde. Der Aspekt der sozialen Verträglichkeit rückte damit ins Zentrum der Bemühungen. 2014 wurden eine Hotline und ein Dialog-Büro in der Siedlung eingerichtet, das über den Projektfortschritt informierte und Anregungen entgegennahm. Im Frühjahr 2017 wurde zudem in einem der Häuser eine „E-Lobby“ eröffnet, wo sich die Mieter kostenlos E-Bikes ausborgen konnten.

Mehr Raum für Sonne, Wärme und Energie

Auf der gestalterischen Seite räumte man der Kostenfrage oberste Priorität ein. Das Architekturteam entwickelten für die thermische Pufferzone konventionelle Stahl-Holz-Konstruktionen, die den Wohnraum nach außen hin vergrößern. Im Modell ziehen sich diese Module wie verglaste, zwischen den Wohnungen abgeteilte Umlaufbalkone um die Wohngeschoße und bilden eine neue Fassade. Bis zur Decke reichende Einfachverglasungen lassen Sonne und damit Wärme in den entstehenden Raum. Die Glasflächen sind zu zwei Drittel beweglich – so ist auch für die nötige Frischluftzufuhr und den Wärmeausgleich gesorgt. Damit nicht genug: Mit Photovoltaikelementen, die unterhalb der Verglasungen auf der Ost-, Süd- und Westseite des Gebäudes angebracht sind, produziert das Haus genug Strom für den Eigenbedarf.

„Eine Erkenntnis aus dem Projekt war für uns, dass sich nicht jedes Ziel mit rein technischen Lösungen erreichen lässt“, resümiert Hans Gangoly. „Einen Mehrwert für die Gesellschaft haben innovative Gebäudelösungen nur dann, wenn sie für die Leute auch finanzierbar sind.“ Das ist bei STELA gelungen. Rechnet man Kosten und Einsparungen beim Pilotprojekt gegeneinander auf, so erhöht sich die Wohnungsmiete durch die Thermohülle mit der 30 m2 großen Zusatzfläche im günstigsten Fall um 24 Euro pro Monat. Im Vergleich: Eine konventionelle thermische Sanierung erhöht die Miete um 13 Euro, bringt aber abgesehen von der gestiegenen Energieeffizienz keinerlei Mehrwert.

Dennoch – und das ist die bittere Pille, die STELA schlucken muss – haben sich die Bewohner der Leobener Siedlung mehrheitlich gegen die innovative Sanierung ihrer Häuser entschieden. Die Stadtgemeinde Leoben als Eigentümerin der Siedlung hat das Projekt damit ad acta gelegt. Dafür zeigen andere Wohnbauträger bereits Interesse an den Thermo-Modulen, die im Rahmen von STELA entwickelt wurde.

„Siedlungen wie diese, in sehr guter Lage, aber nicht mehr zeitgemäßem Zustand, gibt es in jeder österreichischen Stadt“, sagt Hans Gangoly. „Unser Modell kann für sehr viele Gemeinden und Wohnbauträger interessant sein. Wenn wir unseren Ansatz weiter systematisieren, kann das Modul noch kostengünstiger gefertigt werden; rasch anbringen lässt es sich schon jetzt.“ – Frau Anna beispielsweise musste lediglich für zwei Tage ausziehen, als der Prototyp der Thermohülle bei ihrer Wohnung angebaut wurde. Jetzt hat sie mehr Platz und als einzige in ihrer Siedlung einen hellen Zusatzraum, in dem sie sich gerne aufhält.

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