Papa mia!

Es sind die Frauen am Rand des Nervenzusammenbruchs, die in Piersandro Pallavicinis Roman „Erben auf Italienisch“ dank Traubensilberkerzenkonzentrat das Erbe Italiens retten.

Von manchen Büchern kann man was lernen. Zum Beispiel, dass Traubensilberkerze hilft, wenn die Nerven von Frauen in den Wechseljahren Achterbahn fahren. Nachzulesen in Piersandro Pallavicinis Roman „Erben auf Italienisch“, dessen Hauptfigur Carla, 50 Jahre alt, Professorin für Chemie, allen Grund hat, die Nerven wegzuschmeißen: Schließlich wurde sie mit ihrem Bruder von ihrem Vater ins Ferienhaus gerufen, um Erbschaftsangelegenheiten zu regeln. Carla ist mit ihrer Freundin und ihrem Sohn aus Mailand gekommen, Bruder Edo mit Frau und Kindern aus London.

Das Ferienhaus befindet sich in einem Talschluss im Trentino, im höchstgelegenen Dorf Italiens. Der Käsefabrikant Alfredo Pampaloni hat sich dort in den 1970er-Jahren mit Blick auf das Tal eine futuristische Villa errichten lassen, in der die Möbel auf Knopfdruck hinter Panelen versinken. Angeblich ist der Patriach jetzt unheilbar krank: Darmkrebs. Doch bei Alfredo Pampaloni wusste man noch nie, ob er die Wahrheit sagt oder flunkert. In den 1970ern beispielsweise verschwand Alfredo im Sommer wochenlang, um, wie er behauptete, die Stars des französischen und italienischen Films in St. Tropez zu treffen. Und seinen Erzählungen nach sei er, Alfredo Pampaloni, es gewesen, der den Playboy Gunther Sachs auf die Idee gebracht hatte, das Herz der Brigitte Bardot mit einer Hubschrauberladung roter Rosen für sich zu gewinnen.

Piersandro Pallavicini, Jahrgang 1962, hat ein witziges, spritziges und auch sehr gescheites Buch über eine italienische Familie geschrieben, genauer: über den Wandel der Rollenbilder in den letzten 40 Jahren. Die Stimmung erinnert an hypernervöse Italo-Komödien aus den 70ern, wo die Männer noch echte, großspurige, aber auch sehr menschliche Machos waren. In der Gegenwart zieht die Macho-Nummer nicht mehr so richtig – die jüngere Männer-Generation in Gestalt des Bruders Edo ist zwar auch großspurig, hat aber kein Format, dafür umso mehr Chuzpe. Es sind die Frauen am Rand des Nervenzusammenbruchs, die dank Traubensilberkerzenkonzentrat das Erbe der Menschlichkeit retten: die Protagonistin Carla; ihre stoische Freundin Ottolina; und die Vizekommissarin Erica, die geschickt wird, um die seltsamen Vorfälle aufzuklären, die sich rund um die Ferienvilla ereignen: Die Hauswand wurde beschmiert, der Stromkasten demoliert, das Haus beschossen. Haben diese Anschläge etwas mit der Vorliebe des alten Pampaloni für derbe Streiche zu tun? Oder mit dem Umstand, dass der Patriarch sämtliche Almwiesen rund ums Haus aufgekauft hat, damit ukrainische Investoren dort keine Schipisten anlegen können?

Pallavicini enthüllt Stück für Stück der Dorf- und Familiengeschichte und gibt damit Carla und den anderen Charakteren des Buches mit jedem Kapitel mehr Tiefe. Sukzessive stellt sich heraus, dass Alfredo Pampaloni tatsächlich durch und durch ein Macho war und ist, aber vermutlich doch kein Lügner. Sein Abgang ist beachtlich. Und die Art, wie sich Carla am Ende gegen ihren unsympathischen Bruder durchsetzt, amüsant und befreiend.

„Erben auf Italienisch“ ist nach „Ausfahrt Nizza“ der zweite auf Deutsch erhältliche Roman von Piersandro Pallavicini, insgesamt aber bereits der siebente des 1962 in der Lombardei geborenen Autors und Universitätsprofessors für Chemie. Im Italienischen heißt das Buch „Una commedia italiana”. Und tatsächlich handelt es sich um sehr feine Lektüre für Freunde der gehobenen italienischen Komödie.


Piersandro Pallavicini: Erben auf Italienisch. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio Verlag: Wien – Bozen 2015. 304 Seiten.

Die Besprechung erschien am 2. Jänner 2016 unter dem Titel „Traubensilberkerzen? Ciao macho!“ in der Wiener Zeitung.

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