Reines Wohnen als Lebensziel

Barbi Markovićs neues Theaterstück „Staub“ entführt in eine nahe Zukunft, in der Wohnräume nur noch simuliert werden. Die Uraufführung am 29.11.2019 in Graz geriet ziemlich aufgeräumt.

Diese Kritik könnte genauso gut auf den Immobilienseiten stehen, denn es sind die sterilen Bilder und Renderings von Bauprojekten, die die Wiener Autorin Barbi Marković zu ihrem Stück „Staub“ angeregt haben. Was wäre, wenn unser Leben einst wirklich so clean wird, wie es auf Bautafeln und in Immobilienprospekten stets aussieht? Das Grazer Theater im Bahnhof tastete sich bei der Uraufführung vergangenen Freitag in drei Akten an die Dystopie eines staublosen Daseins heran.

Anfangs tönen Staubsaugergeräusche aus den Lautsprechern, und auf die Wand des simplen, schwarzen Bühnenraums werden Sätze projiziert, die uns in die nahe Zukunft beamen, zum Beispiel: „Das Leben läuft wie in einer etwas misslungenen SimCity.“ Die Forscherin Dr. Gabi Jankowski, gespielt von Gabi Hiti, betritt die Bühne und macht sich über den Inhalt eines prall gefüllten Mikrofilter-Staubsaugerbeutels her. Sie untersucht seit Jahren verschiedene Staubformen und hat dabei ein Verfahren entwickelt, Orte der Vergangenheit in der Virtual Reality (VR) wieder auferstehen zu lassen. Alles, was man dazu braucht, ist ein Häufchen Staub von damals. Wer will’s ausprobieren?

Herr Lorenz Mann in der aseptischen Wohnzukunft, Foto: Johannes Gellner

Eis, das nie schmelzen kann

Wenn die Immobilienmaklerin Eva Rein (Eva Hofer) mit VR-Brille am Kopf und ausgestreckten Armen auf der schwarzen Bühne wie blind durch die Räume ihres Elternhauses und ehemaliger Wohnungen wandelt, dabei digitale Hürden überwindet und alte Schmutzwäsche entdeckt, ist der dramaturgische Höhepunkt des Stücks auch schon erklommen. Was auf diesen Ausflug in bakterienreiche Tempi passati folgt, ist der Blick in die aseptische Zukunft. Und den serviert uns der Wohnungskäufer Lorenz Mann (Lorenz Kabas), der sich, ebenfalls mit einem VR-Set ausgestattet, durch virtuelle Räume tastet, die live auf einen weißen Vorhang projiziert werden. „Manchmal empfinde ich eine Art Nostalgie, weil das Leben ohne Staub so wirtschaftspoetisch ist“, monologisiert Herr Mann bei seinem vergeblichen Versuch, etwas Festes in seiner durchdesignten, virtuellen Wohnung in die Hände zu bekommen. Auch die Menschen draußen im Freien sind reglose Simulationen; einzig die Haustier-Avatare bewegen sich, wenn auch in den immer gleichen Schleifen. „Es ist jeder Tag ein greller Sommertag. Im hellgrünen Gras liegen junge heterosexuelle Paare und essen Eis, das nie schmelzen kann.“ – Der Mensch, der hier aus der Zukunft spricht, ist eine Immobilien-Monade, die ihr Leben nur visualisiert bekommt, solange dafür bezahlt wurde.

LED-Version eines Bühnenknallers

Regisseurin Monika Klengel und ihre Schauspieler bemühen sich nach Kräften, dem emotional zurückhaltenden Stücktext Leben einzuhauchen. Nur lässt dieser dafür wenig Raum. Barbi Markovićs Prosatexte wie „Ausgehen“ oder „Superheldinnen“ sprühen vor Energie, ihre aufgekratzten Figuren und über alle Grenzen driftende Sprache wärmen wie Feuer. Bei „Staub“ hat die Autorin all diese Qualitäten vermieden. Herausgekommen ist die LED-Version eines Bühnenknallers: ein allzu aufgeräumter Theaterabend, der nicht zünden kann.

Die Kritik der Uraufführung wurde für die Tageszeitung „Der Standard“ vom 2.12.2019 geschrieben.

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