Spiel mir das Lied vom Abschweifen

„Ein kirgisischer Western“ von Erwin Einzinger bereitet jenen Vergnügen, die sich auf ziellose Formulierlust einlassen können.

Auf dem Umschlag ist ein sogenannter Blurb zu lesen: ein Zitat eines Prominenten zum Buch bzw. zur Person eines Autors. In diesem Fall äußerte sich Michael Köhlmeier auf sehr bodenständige Art über die Literatur des Schriftstellerkollegen Erwin Einzinger: „Einzinger, du Hund, bist uns allen voraus!“, lässt er verlauten. Das ist insofern interessant, als Köhlmeier als Großmogul des Fabulierens gelten kann, während Erwin Einzinger sowohl in Lyrik als auch Prosa als Liebhaber gedrechselten Formulierens auftritt. Dies ist auch in seinem jüngsten Buch, „Ein kirgisischer Western“, nicht anders. Ein Beispiel: „Drei Tage lang schneidender Wind aus Nordwesten. In der Auslage des Optikerladens gegenüber hat der Dekorateur, der wahrscheinlich niemand anderer als der Sohn des altersdementen Geschäftsinhabers ist, diesmal aus irgendwelchen Gründen kleine handgearbeitete Strohpuppen placiert. Sein Neffe schickte ihm kürzlich eine Karte: Die Ferien gehen zu Ende, dennoch bin ich einigermaßen vergnügt.

Am vergnüglichsten ist Einzingers Prosa dann, wenn man sie erst gar nicht als Geschichte im Sinne einer Handlung oder eines Plots zu lesen versucht – was sowieso nicht funktioniert –, sondern als gesammelte Notizen eines wirklichkeitshungrigen Sprachliebhabers, der seine verstreuten Beobachtungen in assoziativ aneinandergereihten Satzgirlanden zu Papier bringt. Nebensächliches, Banales, Koinzidenzen und zufällige Begegnungen, welche nie zu bleibenden Verbindungen führen, sind der Stoff, aus dem die 51 mal kürzeren, mal längeren Kapitel des „kirgisischen Westerns“ bestehen. Was den Buchtitel betrifft: Der führt einerseits in die Irre, weil weder das Westerngenre noch die Kirgisische Republik irgendeine besondere Rolle in Einzingers Text-Konglomerat spielen; andererseits aber bringt der Titel die Erzählstrategie auf den Punkt, die darin besteht, lauter falsche Fährten zu legen und erzählerische Finten anzubringen.

Joyce’sche Epiphanien
Einzinger ist ein Meister der Abschweifung: Er setzt bei einer kleinen Begebenheit an und spinnt sie dann mehr oder weniger ausführlich weiter. Oftmals kommt es dabei zu etwas, das James Joyce „Epiphanien“ nannte: Manifestationen des Transzendenten in den unscheinbaren Begebenheiten des Alltags. Einzinger selbst liegt der Begriff des Transzendenten vermutlich fern. Stattdessen zieht sich der Begriff des Goldwaschens als dünner, blass-roter Faden durch seinen „Western“. Als einer von Tausenden Fäden, die den Text durchwirken bzw. darin ausfasern. Ein treffendes Bild: So wie ein Goldwäscher im Flusssand hin und wieder auf etwas Wertvolles stößt, so ballt sich für den Leser im Dahinplätschern der Anekdoten und Gedankensprünge immer wieder einmal etwas Konzentriertes zusammen, das auf nichts als das Jetzt verweist. Nennen wir es Magie des Augenblicks. Oder: Poesie. Und das ist es vielleicht, was Köhlmeier mit seinem Zuruf, Einzinger sei seinen Kollegen weit voraus, gemeint haben könnte: Einzinger ist, auch wenn seine Prosa auf die Dauer absichtslos und peripher wirkt, durch und durch Poet. Es passt sehr gut in seine Biografie, dass der 1953 geborene Lyriker, Prosaautor und Übersetzer auch Träger des H.-C.-Artmann-Preises der Stadt Wien ist, denn Einzinger macht sich ganz gut in den Fußstapfen des schillernden Silbenstechers aus Breitensee.

Die besten Western leben von ihrer langsamen Erzählweise. Auch der „kirgisische Western“ ist ein Buch, das man am besten langsam liest. Nur auf diese Weise kann man die Lust am Formulieren, die Erwin Einzinger spürbar antreibt, angemessen auf sich einwirken lassen.

Erwin Einzinger: Ein kirgisischer Western. Roman. Salzburg und Wien: Jung und Jung 2015. 467 Seiten.

Die Besprechung erschien am 24. Mai 2015 in der Wiener Zeitung.

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