Die Violine als Interface

Die Geigerin, Komponistin und Vokalistin Mia Zabelka hat sich 2008 in der Südsteiermark niedergelassen und hält ihr „Klanghaus Untergreith“ für musikalische Entdeckungsreisen offen.

Wie würde die Südsteiermark klingen, wenn sie Musik wäre? – Mia Zabelka vom Klanghaus Untergreith braucht nur kurz nachdenken, um eine Antwort zu finden: „Es wäre ein ruhiger Ambient Sound, eher harmonisch; mit ruhigen Melodiezügen; aber es kann auch anders sein, es kann auch kippen.“ – Und dann erzählt Zabelka von einem Improvisationskonzert: „Wir hatten einen sehr berühmten Komponisten aus New York hier, Phill Niblock. Als er draußen im Zelt gespielt hat, ist ein Gewitter gekommen. Niblock hat nicht aufgehört zu spielen, weil es ihn so fasziniert hat, dass sich seine Klänge mit diesen Geräuschen gemischt haben.“

Die Wiener Violinistin und Komponistin Mia Zabelka ist seit Jahren eine Fixgröße in der europäischen Improvisationsszene. „Heroin der Avantgardemusik“, „Grenzgängerin zwischen Avantgarde- und Electronicszene“ oder „Extrem-Violinistin“ sind einige der Zuschreibungen, mit denen den Musikerin bereits bedacht wurde. Solo oder in Formationen wie „Medusa’s Bed“ – gemeinsam mit Zarah Mani und Lydia Lunch – tourt sie durch ganz Europa und tritt auch in Übersee auf. Ihre Homebase ist aber in Untergreith im südsteirischen Weinland. Zarah Mani, die schon länger in der Steiermark lebt, hat das Haus in Untergreith für Zabelka entdeckt; gemeinsam wurde die alte Keusche erweitert und zu einem offenen Haus für Musikerinnen und Klangkünstler aller Schattierungen umgewandelt. Regelmäßige „Klangtage“ und ein Artist-in-Residence-Programm führen vielversprechende Talente ebenso wie klingende Namen der Szene in die tiefe Südsteiermark, Namen wie Eliott Sharp und John Russell, aber auch heimische Musiker und Soundkünstler wie Harri Stojka und Bertl Mütter. Für sein Programm wurde das Klanghaus Untergreith 2015 mit einer Prämie im Rahmen des „Outstanding Artist Awards“ des Bundeskanzleramts, Sektion Kunst, bedacht.

„Man hat hier mehr Ruhe zu arbeiten und sich zu konzentrieren“, erzählt Mia Zabelka beim Gespräch im Klanghaus. Ob für eine Künstlerin hier in der Einschicht nicht zu wenig los sei? – „Ich habe so lange die Stadt und ihre Möglichkeiten genossen“, sagt Zabelka, „dass es jetzt schön ist, die Stille und die Natur zu genießen.“ Und nach einer Pause: „Raum und Atmosphäre spielen immer eine Rolle beim Musizieren. Das Wesentliche bei dieser Art von Musik, die im Augenblick entsteht, ist es, auf die Klänge der anderen Musikerinnen zu hören. Das ist manchmal wichtiger als das eigene Spielen.“

Mia Zabelka beim Fotoshooting nach unserem Gespräch im Klanghaus Untergreith. Hündin Alma verfolgt das geschehen aufmerksam.

Mia Zabelka beim Fotoshooting nach unserem Gespräch im Klanghaus Untergreith. Hündin Alma verfolgt das Geschehen aufmerksam.

Mia Zabelka lernte Geige am Musikkonservatorium in Wien und spielte früh in Jazz- und Rockformationen. Nach dem Studium der Komposition und elektroakustischen Musik an der Hochschule (heute: Universität) für Musik und darstellende Kunst Wien begann sie, die Klangmöglichkeiten ihres Instruments in alle Richtungen auszuloten. „Ich habe damals begonnen, die Violine mit electronic devices zu verknüpfen und das Instrument mehr als Klangmaschine zu sehen. Diesen Zugang finde ich für mich persönlich spannender, als, wie es in der elektronischen Musik lange Zeit üblich war, Klänge ausschließlich am Computer per Mausklick zu erzeugen. Mit der Violine habe ich gleichzeitig den haptischen Zugriffe auf die Klänge. Mein Interface ist die Violine, wenn man so will.“

Am Punkt, wo es spannend ist

In ihrem Musikschaffen sucht Zabelka die völlige Offenheit und in der Improvisation auch das Aufgehen im Augenblick. „Mich interessieren verschiedene musikalische Genres von Free Jazz, elektronische Musik, Punk, klassische Musik bis Heavy Metal – sie werden durch mich, durch meinen Körper gefiltert. Aus diesem Konzentrat schaffe ich dann eine neue Sprache, meine ganz spezifische Ausdrucksweise“, sagt Zabelka im Dokumentarfilm „Es spielt mich“, den die Salzburger Filmemacherin Ulrike Schmitzer 2007 über sie drehte. „Ich habe das Konzept des ‚automatic playing‘ entwickelt – eine künstlerische Technik des Aus-dem-Körper-heraus-Arbeitens, die dem automatischen Schreiben der Lyrikerin Friederike Mayröcker oder der écriture automatique von André Breton nachempfunden ist. Meine surrealistische Introspektion ohne jede Kontrolle, ohne Regeln und Konvention ermöglicht völlig neue Hörerlebnisse.“

Auf einer von Zabelkas aktueller CDs, „The Honey Pump“, die sie im Frühjahr 2016 gemeinsam mit dem Gitarristen Nicola L. Hain live im Studio eingespielt hat, öffnen Gitarre und Geige Klangräume, die von sphärischen Eindrücken über dissonante Kulissen bis hin zu maschinenartigen Klangstrukturen und Rhythmusmustern reichen – eine anspielungsreiche Reverenz an die Installation „Honigpumpe am Arbeitsplatz“, die Joseph Beuys 1977 auf der Documenta 6 zeigte. Und gleichzeitig ein weiteres Dokument der ungeheuren Komplexität von Zabelkas Klangerkundungen, die von 100 Prozent musikalischer Präsenz zeugen.

2016 ist überhaupt ein äußerst produktives Jahr für die Violinistin. Neben „The Honey Pump“ erschien die CD „The Broken Glass“ als Kooperation mit DJ Asférico alias Alex Gámez im Rahmen des spanischen „Störung“-Festivals 2016, weiters die CD „dans les tiroirs“ des Trios „Zingaro Zabelka Foussat“ (mit Carlos Zingaro an der Violine und Jean-Marc Foussat am Synthesizer) sowie unter dem Bandnamen „redshiftorchestra“ das Online-Album „Thinking Light“ mit Kai Niggeman am Vintage-Synthesizer. Aktuell arbeitet Zabelka an ihrer zweiten Solo-CD, die im Frühjahr 2017 erscheinen und „Cellular Resonance“ betitelt sein wird.

„Es geht nur mit einer wirklichen Offenheit und Neugier, Neuland zu entdecken“, sagt Zabelka im Gespräch in Untergreith. Der Glücksfall besteht für die Musikerin darin, wenn man die eigene, spezifische Klangsprache findet, aus der heraus sich produktiv arbeiten lässt. „Wenn man die einmal gefunden hat, dann kann man dort ansetzen und sie immer weiter vertiefen.“

Wann hatte Zabelka das Gefühl, dass sie die ureigene Klangsprache für sich gefunden hatte? – „Es ist noch gar nicht so lange her“, meint die Künstlerin, „vielleicht drei oder vier Jahre. Nach zwanzig Jahren Suche wusste ich: Jetzt bin ich am Punkt angekommen, und von hier aus ist es spannend weiterzugehen.“

Mia Zabelka im Internet: www.miazabelka.com

Werner Schandor

Der Text erschien im November 2016 in der Online-Galerie ARTfaces am Kulturportal des Landes Steiermark.

 

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