Wie gendern?

Kaum ein anderes sprachliches Thema ist derart umkämpft wie die Frage des „Genderns“ in Gebrauchstexten. Für die einen bedeutet Gendern den Untergang des Abendlandes, für die anderen ist die Ablehnung von Binnen-I und Genderstern ein sicheres Indiz für Sexismus und Gestrigkeit. Die Debatte lässt wenig Platz in der Mitte, dabei gibt es Wege, Gleichberechtigung in Berufsbezeichnungen walten zu lassen, ohne die Eleganz der Sprache zu zerstören.

Auf dem Königsweg des Genderns, 1: Genderfälle minimieren

Das sture Durchgendern eines Textes mit konstanter Beidnennung oder Binnen-I führt zu einer „Überfrachtung der Sprache mit Gendersignalen“, meint die mittlerweile emeritierte österreichische Universitätsprofessorin Maria Nicolini in ihrem lesenswerten Buch „Das unterschätzte Vergnügen. Schreiben im Studium“. Jeder Mensch, der nur einen Hauch der ästhetischen Lust empfinden kann, den ein gut formulierter Text auslöst, wird ihr zustimmen. Nicolini regt an, Genderfälle in Texten zu verringern, so gut es geht. Beispiele dafür: Man schreibt „alle“ statt „jeder/jede“, „Fachleute“ statt „Expertinnen und Experten“, „Lehrkräfte“ statt „Lehrerinnen und Lehrer“. Wenn man darauf achtet, lassen sich viele Doppelnennungen vermeiden. Aber die Methode hat ihre Grenzen – und die lassen sich mit einer zweiten Taktik überwinden.

Auf dem Königsweg des Genderns, 2: moderate Beidnennung

Wenn wir einen Text lesen, beeinflussen Schlüsselwörter, wie wir den Inhalt auffassen. Dabei ist es entscheidend, wann uns diese Wörter im Text begegnen: Tauchen sie früh auf, bestimmen sie die Richtung, in die wir denken. Diese Spielart des sogenannte Halo-Effekts lässt sich fürs Gendern nutzen. Das möchte ich an einem Beispiel zeigen, auf das ich unlängst bei einem Lektorat stieß. Es ging um die Therapie von Suchtabhängigen. Das Beispiel lautet:

  • „Die Hauptaufgabe der Apotheken liegt in der Abgabe des Substitutionsmittels sowie in der pharmakologischen Betreuung der Patientinnen und Patienten. Kommt ein Substitutionspatient mit Rezept in die Apotheke, hat er zuvor bereits zahlreiche Stationen durchlaufen.“

Im ersten Satz ist die Personenbezeichnung mit Beidnennung gegendert („Patientinnen und Patienten“). Im zweiten Satz wird das generische Maskulinum verwendet – weil durch die Beidnennung im Satz davor hinlänglich klar ist, dass mit dem „Substitutionspatient“ pars pro toto alle angesprochen sind.

In einem anderen aktuellen Lektorat stand:

  • „Schwerverbrecher – Männer wie Frauen – wurden in den Kellern angeschmiedet. Die Insassen erlitten Hunger und Torturen.“

In diesem Beispiel verdeutlicht der Zusatz „Männer wie Frauen“ eindeutig, dass das generische Maskulinum als generisches Humanum („der Mensch“) zu lesen ist. Im zweiten Satz ist daher klar, dass mit den „Insassen“ ebenfalls Männer und Frauen umfasst sind.

Der Königsweg: die moderate Beidnennung

Als eleganteste Vorgangsweise fürs Gendern kann man möglichst früh in einem Text die Beidnennung verwenden oder auf andere geeignete Weise Männer und Frauen ansprechen. Das wiederholt man alle drei bis vier Absätze und ruft so immer wieder in Erinnerung, dass die allgemeine Form sich an alle Menschen jeglichen Geschlechts richtet.

In den Sätzen und Absätzen dazwischen darf man sich darauf verlassen, dass durch den Halo-Effekt alle Leser das grammatische Maskulinum als generisch – also geschlechtsneutral – auffassen. (Sofern sie kein maschinelles Sprachverständnis ihr Eigen nennen oder/und zu dogmatischen Sprechakten neigen.) Man kann diese Methode als „moderate Beidnennung“ bezeichnen.

Konsequente Beidnennung wirkt zwanghaft und ist redundant

Die moderate Beidnennung wurde lange Jahre auf Ö1 gepflegt. Leider hat man sich im Herbst 2019 beim ORF hörbar dafür entschieden, auf die konsequente Beidnennung umzusteigen. Seither wird im Radio und TV jede Personenform gnadenlos verdoppelt – bis hin zum „Staatsbürgerinnen- und Staatsbürgerschaftsnachweis“, um den es in einer Ö1-Sendung mal eine geschlagene Stunde lang ging.

Das konsequente Beidnennen unterschätzt sowohl die metaphorische Ebene der Sprache als auch das intuitive Sprachverständnis der Menschen und hat einen zwanghaften Beigeschmack. Das zeigen auch unsere beiden Beispiele, wenn man sie entsprechend ändert:

  • „Schwerverbrecherinnen und Schwerverbrecher wurden in den Kellern angeschmiedet. Die Insassinnen und Insassen erlitten Hunger und Torturen.“
  • „Die Hauptaufgabe der Apotheken liegt in der […] Betreuung der Patientinnen und Patienten. Kommt eine Substitutionspatientin / ein Substitutionspatient mit Rezept in die Apotheke, hat er/sie zuvor bereits zahlreiche Stationen durchlaufen.“

Das klingt viel unnatürlicher als die ursprünglichen Sätze, die nahe am gesprochenen Deutsch waren. Das starre Gendern mit Beidnennung führt dazu, dass man beim Lesen mit der Zeit die zweitgenannte Form überspringt und vom Text zunehmend unterfordert ist. Durch die dauernde Verdoppelung gewinnt man keine Information dazu, sondern wird lediglich mit Formalitäten behelligt. Die Sprache wird starr und redundant und geht unter den Genderformen in die Knie.

Das Problem der Überwucherung

Auch neigt die konsequente Beidnennung zu Überwucherungen. So sieht man in Firmentexten oft Wörter gegendert, mit denen gar keine realen Personen bezeichnet werden. Typisch sind etwa „Unternehmenspartnerinnen und -partner“, wenn andere Firmen gemeint sind. Aber dass es bei einer GmbH auf das Geschlecht ankäme, wäre mir neu. Eine andere zwanghafte Konsequenz ist es, übertragene Bedeutungen stur zu duplizieren, sobald die Metapher auch nur entfernt nach generischem Maskulinum riecht – etwa den „Königsweg“ aus dem Zwischentitel oben in einen „Königs- und Königinnenweg des Genderns“ zu verdoppeln. Das kann lustig sein, aber auf Dauer wirkt es sektiererisch.

Wie schaut es aus mit dem Binnen-I?

Das Binnen-I bringt gegenüber der sturen Beidnennung eine Verbesserung, weil es die Redundanzen vermeidet – aber nur dann, wenn man in der Mehrzahl bleiben kann:

  • „SchwerverbrecherInnen wurden in den Kellern angeschmiedet. Die InsassInnen erlitten Hunger und Torturen.“
  • „Die Hauptaufgabe der Apotheken liegt in der […] Betreuung der PatientInnen. Kommt einE SubstitutionspatientIn mit Rezept in die Apotheke, hat er/sie zuvor bereits zahlreiche Stationen durchlaufen.“

Im Singular treibt das Binnen-I etliche der grausigsten Blüten des Genderdeutsch. Mit Wörtern, die in Verbindung mit dem femininen „-in“ im Stamm einen Umlaut bilden (Arzt/Ärztin), gerät es völlig außer Kontrolle (AErztIn?). Im Übrigen ersetzt die Form mit Binnen-I das als ungerecht geschmähte generische Maskulinum einfach durch ein generisches Femininum. Deutlich wird das, wenn der Plural des Ausgangswortes nicht auf „-er“ endet. Dann nämlich wird die männliche Form strenggenommen ausgespart, denn weder „die Patient“ noch „die Insass“ oder beispielsweise „die Ärzt“ sind dem Lexikon bekannt.

Und wie steht’s mit dem Genderstern?

Der Genderstern soll in jeder Textäußerung die Tatsache in Erinnerung rufen, dass es Menschen gibt, deren Geschlecht sich nicht eindeutig dem Schema männlich/weiblich zuordnen lässt bzw. die ihr Geschlecht wechseln und/oder andere sexuelle Interessen verfolgen als die heterosexuelle Mehrheit. So begrüßenswert dieses Anliegen gesellschaftspolitisch ist, so aufdringlich ist die Umsetzung, wenn Wörter mit Sternen penetriert werden:

  • „Schwerverbrecher*innen wurden in den Kellern angeschmiedet. Die Insass*innen erlitten Hunger und Torturen.“
  • „Die Hauptaufgabe der Apotheken liegt in der […] Betreuung der Patient*innen. Kommt ein*e Substitutionspatient*in mit Rezept in die Apotheke, hat er/sie* zuvor bereits zahlreiche Stationen durchlaufen.“

Der Genderstern stößt die Leser andauernd mit der Nase auf die Frage nach der sexuellen Orientierung bzw. Geschlechterzugehörigkeit und stört dadurch das Textverständnis massiv. Wenn, wie in unserem Beispiel, Hetero-, Homo- oder Bisexualität eine Rolle bei der Behandlung von Suchterkrankungen spielte, dann wäre dies eigens im Text erwähnt worden. Wenn es aber für die Therapie bedeutungslos ist, wie Suchtkranke ihr Liebesleben gestalten, was soll dann der Stern in diesem Text? Er lenkt vom Eigentlichen ab.

Detto bei den Insassen im Foltergefängnis der frühen Neuzeit. Hier kann man sich fragen: Geht es im Text um die elenden Haftbedingungen im Kerker oder vorrangig um die Frage, ob auch Intersexuelle angeschmiedet waren? Der Stern suggeriert Zweiteres, legt dadurch den Text in Ketten und unterzieht die Leser der Tortur der peinlichen Gender-Befragung. Und das ist bei so gut wie jedem Thema der Fall.

Folgende Gründe sprechen gegen den Genderstern:

  1. Der Stern zersiebt Texte und lenkt den Blick weg vom Inhalt auf den Asterisk, der bisher Fußnoten-Verweisen oder Unanständigem vorbehalten war.
  2. Der Genderstern ist nicht barrierefrei: Auf Websites und in Dokumenten wird er von Sprachausgabeprogrammen als „-stern-“ ausgelesen: „Schwerverbrechersterninnen wurden in den Kellern angeschmiedet. Die Insasssterninnen litten Hunger und Durst.“ Das bedeutet: Das „gendersensible“ Schreiben wirkt hochgradig exkludierend, was nicht im Sinn der Anwender sein kann.

Fazit

Als Humanist bin ich der Überzeugung, dass den Menschen als Spezies insgesamt mehr ausmacht als seine sexuelle Orientierung, sein jeweiliges biologisches Geschlecht und die kulturelle Ausprägung der Geschlechterrollen. Die permanente Betonung von Genderformen dagegen rückt die Gendersonne in den Mittelpunkt, als gäbe es den Menschen nicht, sondern als wäre jedes Geschlecht seine eigene biologische Art, und als wäre es das Wichtigste der Welt, das Geschlecht permanent im Blick zu haben. Das mag für Sexual- und (Trans-)Genderberatungsstellen gelten; in allen anderen Zusammenhängen ist es überzogen.

Forciertes Gendern ist von seinen Ursprüngen her ein akademischer Soziolekt. Er geht auf strittige linguistische Thesen zurück, der von fragwürdigen Studien untermauert werden. Kein halbwegs unverbildeter Mensch redet so, wie es uns die Gendervorgaben von Ämtern und Universitäten einreden wollen. Gendern wirkt immer gewunden und unnatürlich. Das mag man in Kauf nehmen. Befremdlich ist aber der Umstand, dass es nach wie vor keinen Anhaltspunkt für den gesellschaftlichen Nutzen des Genderns gibt. Für mich ist es wie Schuhplatteln: Hübsche Folklore, aber nicht alltagstauglich.


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